Lenz verlor 1945 seine ostpreußische Heimat, hing jedoch nie dem Revisionismus der Vertriebenenverbände an. Er zeigte literarisch und auch politisch seine Verbundenheit mit der Heimat, indem er ein freundschaftliches Verhältnis zu Polen und die Neue Ostpolitik Willy Brandts unterstützte.
Siegfried Lenz wird in Lyck/Elk, einer kleinen Stadt im masurischen Ostpreußen, als Sohn eines Zollbeamten geboren. In der überschaubaren kleinen Welt, in der er heranwächst, spielt die nationale Identität zunächst keine Rolle.
Polen und Deutsche leben friedlich zusammen und empfinden sich vorrangig nach der Region als "Masuren", die historisch bedingt ein Völkergemisch darstellen. Das ändert sich 1939. Der 13jährige Lenz tritt der Hitler-Jugend bei und verbringt seine Ferien in Wehrertüchtigungslagern, wo die Jugendlichen für den Kriegseinsatz ausgebildet werden. 1943 wird dem 17jährigen das Abitur erlassen, damit er als Soldat einrücken kann. Lenz kommt zur Marine, worauf er zunächst sehr stolz ist: "Ich glaubte mich in der Lage, zunächst Ost- und Nordsee, dann alle anderen Ozeane von den Schiffen unserer Gegner unnachsichtig zu reinigen." Daraus wird jedoch nichts, denn das Schiff, mit dem Lenz fährt, wird vom Feind versenkt. Lenz wird nach Dänemark versetzt, desertiert und begibt sich 1944 in englische Kriegsgefangenschaft, weil ihm das der sicherste Weg scheint, um zu überleben.
Nach Ende des Krieges geht Lenz 1945 nach Hamburg. Er studiert Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft, lebt vom Schwarzmarkt und vom Blutspenden, außerdem schreibt er für verschiedene Zeitungen. 1950 wird er Feuilletonredakteur der "Welt", doch gibt er den Journalismus 1951, nach Erscheinen seines ersten Romans "Es waren
Habichte in der Luft", auf, um freier Schriftsteller zu werden. Bereits in seinem Erstling tauchen die Motive "von Fall, Flucht und Verfolgung, von Gleichgültigkeit, Auflehnung und verfehlter Lebensgründung" auf, die später in wechselnden historischen Szenarien wiederkehren. Daneben entwickelt er sich früh zum "Meister der kleinen Form", der in humorvollen Geschichten verschiedene Landschaften und ihre Bewohner zeichnet. Seine einfache Sprache, die Tatsache, daß er in dem Erzählband "So zärtlich war Suleyken" (1955) die verlorene ostpreußische Heimat verklärt, daß er in dem Roman "Deutschstunde" (1968) das Dritte Reich und die Schuldfrage der Deutschen eher moralisch als politisch und eher anekdotisch als analytisch behandelt, machen ihn für breite Leserschichten konsumierbar, zu denen nicht wenige Heimatvertriebene zählen. 1965, 1969 und 1972 müssen diese allerdings zur Kenntnis nehmen, daß Lenz sich in den Wahlkämpfen für die SPD
und Willy Brandts "neue Ostpolitik" engagiert. Im Dezember 1970 ist Lenz einer derjenigen, die den Kanzler Brandt zur Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages nach Warschau begleiten, mit dem die Westgrenze Polens faktisch anerkannt wird. Viele seiner Leser empfinden das als Verrat an der Heimat. Auf die Vorwürfe, Beschimpfungen und Drohungen,
die ihn in der Folge erreichen, reagiert der Schriftsteller mit dem Roman "Heimatmuseum" (1978), in dem der aus seiner masurischen Heimat vertriebene Protagonist Zygmunt Rogalla sein in Schleswig-Holstein aufgebautes "Heimatmuseum" selbst zerstört, als ihn revanchistische Vertriebenenverbände politisch zu vereinnahmen suchen. Damit distanzierte sich Lenz unmißverständlich von dem ideologischen Heimatbegriff eines Teils seiner Leserschaft. An seiner Haltung zu Polen, die er 1972 in einer Wahlkampfschrift in der Losung "Verlorene Heimat – gewonnene Nachbarschaft" zusammenfasste, der Notwendigkeit einer Verständigung und Versöhnung mit jenem Land, aus dem er selbst kam, hat der Autor keinen Zweifel gelassen.
Siegfried Lenz, der mit vielen Auszeichnungen und Preisen nicht nur für seine Literatur, sondern auch für sein gesellschaftliches Engagement geehrt wurde, lebt und arbeitet in Hamburg und auf der dänischen Insel Alsen.