Helmut Kohl sah das Verhältnis zu Polen im Zusammenhang mit dem Streben nach Freiheit statt mit dem nach verlorenen Gebieten, beharrt jedoch auf der alten Rechtsposition 1989 war sein Besuch in Kreisau der symbolische Beginn einer neuen Ära in den deutsch-polnischen Beziehungen.
Helmut Kohl sah das Verhältnis zu Polen von Anfang an im Zusammenhang mit der Erlangung von Freiheit und Menschenrechten für ganz Europa, in der Grenzfrage war er Realist. Der Auftrag zur historischen Aussöhnung mit Polen betrachtete er als Vermächtnis seines Vorbildes Konrad Adenauer. Dennoch beharrte er auf der Rechtsposition der Bundesrepublik, die schon unter der sozialliberalen Koalition gegolten hatte: die Grenzfrage kann nicht
bilateral und nur von einem ungeteilten Deutschland beigelegt werden. Aus Rücksicht auf den konservativ-nationalen Flügel und das Klientel der Vertriebenen konnte er über diesen Standpunkt nicht hinaus. Zu einem Eklat mit dem Vertriebenenpolitiker und CDU-Abgeordneten Herbert Hupka kam es, als Kohl, der als Redner sprechen sollte,
darauf bestand, das Motto des Schlesiertreffens von 1985 zu ändern. „40 Jahre Vertreibung – Schlesien bleibt unser“ war für ihn unannehmbar, das Motto wurde geändert. 1989 sandte die Regierung schnell positive Signale an die im August 1989 gebildete, zum Teil aus freien Wahlen hervorgegangene Regierung unter
Tadeusz Mazowiecki.
Es wurde ein Staatsbesuch Kohls in Polen anberaumt, und am 9. November 1989 wurde er als erstes westliches Staatsoberhaupt von der neuen Regierung empfangen. Kohl betonte das Primat der Freiheit und die europäische Dimension des deutsch-polnischen Verhältnisses, wiederholte jedoch die Offenheit der Grenzfrage. Er unterbrach die Reise schon am nächsten Tag, um nach Berlin zu eilen, wo gerade die Mauer gefallen war. Nach seiner Rückkehr feierten die beiden katholischen Regierungschefs eine Messe auf dem Gut Kreisau, einem Ort des deutschen Widerstandes.
Als der „Kanzler der Einheit“ mit den Siegermächten und der DDR-Regierung über die Wiedervereinigung verhandelte, blieb er in der Oder-Neiße-Frage lange hartnäckig. Gleichzeitig wies gegenüber den zögernden Briten und Franzosen paradoxerweise darauf hin, daß Deutschland mit dem Verlust von einem Drittel seines Staatsgebiets hoch genug für den Zweiten Weltkrieg bezahlt habe, um den Deutschen jetzt noch die
Einheit zu verweigern. Offenbar fürchtete er einen Wahlsieg der rechtsextremen Republikaner. Schließlich erklärten am 21. Juni 1990 Bundestag und Volkskammer die Unverletzlichkeit der polnischen Grenzen und der Souveränität des polnischen Staates; nach dem Vollzug der Wiedervereinigung am
3. Oktober folgte der deutsch-polnische Grenzvertrag und im folgenden Jahr der Freundschaftsvertrag, in dem Deutschland Polen seiner Hilfe bei der Integration in die EG/EU versicherte. In der Folge setzte sich Kohl für die NATO-Osterweiterung ein. Kohl war seit Mitte der neunziger Jahre der beliebteste europäische Politiker in Polen. Auf seiner letzten Auslandsreise wurde ihm der höchste polnische Orden, der Weiße-Adler-Orden verliehen.