Der bekannteste deutsche Schriftsteller der Gegenwart ist deutsch-polnischer Herkunft. Er setzte sich für die "neue Ostpolitik" Willy Brandts und die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages ein.
Günter Grass wuchs in Danzig auf. Sein Vater war deutschstämmiger, seine Mutter kaschubischer Herkunft. Die Eltern waren Kleinbürger und eben nicht Arbeiter, wie Grass später hervorhebt, um des Vaters Anfälligkeit für die NSDAP zu erklären. Grass gehörte dem Jungvolk, dann der Hitlerjugend an. Nachdem Danzig am 1. September 1939 gewaltsam wieder ins Deutsche Reich eingegliedert worden war, ging ein erster, kaum sichtbarer Riss durch die Familie. Die Kaschuben waren keine "Reichsdeutschen",
sondern konnten sich als "rassisch Minderwertige" nur darum bewerben, als "Volksdeutsche" eingestuft zu werden. Grass meldete sich mit 15 Jahren frewillig zur Wehrmacht und wurde November 1944 (mit 17), zur SS-Panzer-Division "Frundsberg" (Waffen-SS) einberufen. Das Kriegsende erlebte er im Lazarett in Marienbad. Aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen, ging Grass Anfang 1947 nach Düsseldorf und arbeitete in einem Steinmetzbetrieb. Anschließend studierte er Bildhauerei und Graphik in Düsseldorf, ab 1953 in Berlin, wo er jedoch bald wegen seiner Gedichte und Theaterstücke auffiel. Gefördert durch die "Gruppe 47", übersiedelte er 1956 für vier Jahre nach Paris und schrieb dort "Die Blechtrommel", die 1959 erschien und ihn mit einem Schlag berühmt machte. Sein Romanheld Oskar Matzerath, der sich mit seinem rot-weiß gestrichenen Spielzeug durch die Kindheit trommelt und nicht weiß, ob Jan Bronski, der kaschubische Cousin der Mutter, sein Vater ist, oder ihr reichsdeutscher Ehemann Alfred Matzerath, erzählt deutsch-polnische Geschichte zwischen 1899 und 1945, wie sie
sich in seiner Familie widerspiegelt. Der Roman bildet den ersten Teil der "Danziger Trilogie", zu der auch die Novelle "Katz und Maus" (1961) und der Roman "Hundejahre" (1963) gehören. Neben der Überzeugung, daß Schriftsteller eine Verantwortung für die historische Wahrheit haben, war der Heimatverlust ein Motor, schreibend ein Bild des Vergangenen zu erhalten. Es ist das mütterlich Kaschubische, das seinen Werken eine Art "östlicher Exotik" verleiht.
In das Jahr 1961 fällt seine erste Begegnung mit Willy Brandt und sein Engagement für die SPD, für die er 1965, 1969 und 1972 auf Wahlkampfreisen geht. Nachdem Brandt, dessen "neue Ostpolitik" er unterstützt, 1969 die Regierung übernommen hat, ist Grass neben dem deutsch-polnischen Schriftsteller Siegfried Lenz einer derjenigen, die den Kanzler im Dezember 1970 zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages begleiten. Nach einer Reihe von Veröffentlichungen mit politischen Themen machen ihn die großen epischen Werke "Der Butt" (1977) und "Die Rättin" (1986) endgültig zum international bekanntesten deutschen Schriftsteller. "Ein weites Feld" (1995) löst, zusammen mit seiner Kritik an der Art und Weise der deutschen Wiedervereinigung, in der BRD heftige Diskussionen aus. Im Frühjahr 2002 erschien die Novelle "Im Krebsgang", deren Thema der Untergang des deutschen Flüchtlingsschiffes "Gustloff" im Januar 1945 ist. Grass nannte es ein Versäumnis der Nachkriegsliteratur, die Leiden der deutschen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg, wie etwa die Vertreibung,
nicht früher aufgegriffen zu haben. Grass knüpft damit an eine Debatte an, die der verstorbene Schriftsteller W. G. Sebald im Herbst 1997 mit seinem Essay "Luftkrieg und Literatur" zur Bombadierung der deutschen Städte ausgelöst hatte. Im Oktober 2002 wollte die Stadt Danzig zum 75. Geburtstag von Günter Grass eine Parkbank aufstellen, auf der er und seine berühmteste Romanfigur, Oskar Matzerath aus der "Blechtrommel",
als lebensgroße Bronzefiguren sitzen. Mit Grass, der dagegen protestierte, zu Lebzeiten ein Denkmal zu werden, wurde ein Kompromiss gefunden. Der Bronze-Grass bleibt zunächst im Depot, der Bronze-Oskar bleibt sitzen. Günter Grass, der nach vielen Auszeichnungen 1999 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde, sich gerne als moralisches Gewissen der BRD gerierte und als eine der zentralen Figuren der deutsch-polnischen Aussöhnung gilt, geriet im Herbst 2006 unter heftigen Beschuss, als er seine - bisher verheimlichte - Mitgliedschaft in der Waffen-SS bekannte. Lech Walesa rief ihn dazu auf, die Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig wieder abzugeben, zog diese Forderung aber nach kurzer Zeit wieder zurück. Ob seine Bronzefigur in Danzig je aufgestellt wird, ist offen. Grass lebt und arbeitet bei Lübeck in Schleswig-Holstein.