Stefan Wyszynski bemüht sich als Primas der katholischen Kirche in Polen um einen Ausgleich mit dem kommunistischen Regime. Eine Vermittlerrolle nimmt er auch in den Beziehungen zwischen Deutschland und Polen ein.
Stefan Wyszynski schließt sein Studium mit einer Dissertation über „Das Recht der Familie, der Kirche und des Staates auf Schule“ ab. Er reist daraufhin nach Österreich, Italien, Frankreich, Belgien, Holland und Deutschland, um hier die Tätigkeit von Gewerkschaften und Sozialbewegungen kennenzulernen. 1931 kehrt er nach Polen zurück und lehrt katholische
Sozialökonomie am Priesterseminar in Wloclawek. Daneben redigiert er die Zeitschrift „Ateneum Kaplaoskie“ und engagiert sich in der sozialen Bildungsarbeit von christlichen Gewerkschaften. 1937 wird er Mitglied des Sozialrates beim Primas von Polen. Den Beginn des Zweiten Weltkrieges erlebt Wyszynski zunächst im Lubliner Raum, später in der Nähe Warschaus, wo er in der konspirativen Bildungsarbeit für Jugendliche tätig ist. Am Warschauer Aufstand ist er als Kaplan der polnischen Untergrundarmee beteiligt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kardinal Hlond handelt es sich bei Stefan Wyszynski um einen Realtheologen, dem an einer Verständigung mit dem kommunistischen Regime und der Feststellung eines modus vivendi gelegen ist. Für diese Politik des Ausgleichs erfährt er wiederholt Kritik vom Vatikan unter Papst Pius XII und den reaktionären Kreisen
der katholischen Kirche. Trotz seiner Verständigungspolitik bemüht sich der Kardinal, die katholische Identität des polnischen Volkes auch in Zeiten der Repression zu bewahren. Auf die Verhaftung von einem Bischof und Hunderten von Priestern reagiert er mit dem Memorandum „Non possumus“, das an polnische Behörden gerichtet ist und in dem er die
Grenzen seiner Nachgiebigkeit umreißt. Er wird daraufhin verhaftet und bis zur politischen Wende im Oktober 1956 in verschiedenen Klöstern unter Hausarrest gestellt. Noch im selben Jahr führt er ein Gespräch mit dem ebenfalls aus der „Verbannung“ zurückgekehrten Wladyslaw Gomulka, das jedoch zu keinen konkreten Ergebnissen führt. Während der neue Staatschef volle Loyalität der Kirche gegenüber der „realen Ordnung“ einfordert, will der Kardinal die Loyalität nur gegenüber den Staatsinteressen, nicht gegenüber der offiziellen marxistischen Ideologie anerkennen. Die 1000 Jahrfeier zur Christianisierung Polens bietet 1966 einen erneuten Anlaß zur Konfrontation. Bereits während seiner Haft hat Kardinal Wyszynski Vorbereitungen für die Milleniumsfeier zur Erneuerung des polnischen Volkes im Geiste des Katholizismus ergriffen, während das kommunistische Regime ein Jubiläum zur Staatsgründung plant. So finden am gleichen Tag zwei Feiern
in Gnesen statt. Zur Eskalation kommt es jedoch im Konflikt um den Brief der polnischen Bischöfe unter Führung von Stefan Wyszynski an ihre deutschen Amtskollegen, der unter dem Titel „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ bekannt geworden ist..
Gomulka fühlt sich die Initiative in der Deutschlandpolitik aus der Hand genommen - eine Verständigung
ist bis zum Ende seiner Amtszeit nicht mehr möglich. Der Kardinal setzt sich in den folgenden Jahren für eine Versöhnung zwischen Deutschland und Polen ein.
Über die Reaktion des deutschen Episkopats auf den Versöhnungsbrief ist er enttäuscht. Dennoch reist er 1978 in die Bundesrepublik. Auch in den Streikbewegungen der achtziger Jahren in Polen beweist Wyszynski seine Fähigkeiten als Vermittler und wirkt als Mediator zwischen der oppositionellen Bewegung Solidarnosc und den kommunistischen Staatsbehörden. Für diese Aufgabe erfährt er besondere Anerkennung. Vor dem Abschluß einer Einigung stirbt er am 28. Mai 1981.