Der enge außenpolitische Mitarbeiter Willy Brandts war einer der Vordenker der „neuen Ostpolitik“. An den Verhandlungen für den Moskauer Vertrag, dem Muster der folgenden Ostverträge, war er an zentraler Stelle beteiligt, wie auch später an den Verhandlungen mit Warschau über Rentenansprüche und Kredite.
Egon Bahr, bis dahin Journalist in Berlin, wurde 1960 als Sprecher des Berliner Senats von Willy Brandt in die Politik geholt. Bahr wurde Brandt über eineinhalb Jahrzehnte zum Mit- und Vordenker. Bereits 1962 prägte er die visionäre Formel vom „Wandel durch Annäherung“, unter der die Regierung Brandt/Scheel antrat, um einen neuen Kurs in der Ostpolitik einzuschlagen. Bahr entfaltete eine intensive
theoretisch-strategische und diplomatische Tätigkeit, sei es als Sonderbotschafter und Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, als Staatssekretär oder als Bundesminister für besondere Aufgaben. In der Zeit der Ostverträge, an deren Formulierung er maßgeblichen Anteil hatte, galt er als die graue
Eminenz der deutschen Außenpolitik. So verhandelte er 1970 mit der Sowjetregierung das Herzstück der „neuen Ostpolitik“, den Moskauer Vertrag, aus, in der beide Staaten den Verzicht auf Gewalt und die Unverletzbarkeit der bestehenden Grenzen „einschließlich der Oder-Neiße-Linie“ versicherten. Dieser Vertrag mit der hegemonialen Sowjetunion machte den Weg zu einer Intensivierung der deutsch-polnischen Beziehungen im Warschauer Vertrag frei.
Bahr war persönlich an den Gesprächen über die Abkommen über die pauschale Abgeltung polnischer Rentenansprüche und über die Gewährung eines großen Kredits 1975 beteiligt, wofür Polen im Gegenzug die Bewilligung von Ausreiseanträgen in Aussicht stellte. Über diese Verhandlungen spricht Bahr in seinen Memoiren angewidert von „Menschenschacher“. An selber Stelle nennt Bahr sein persönliches Verhältnis zu Polen eine „unerwiderte Neigung“.
Letztlich entwickelte sich die „neue Ostpolitik“ nicht bis zu einem eigenen europäischen System der „gemeinsamen Sicherheit“, wie Bahr gehofft hatte. Zwar kam sie über eine Entspannung zwischen den Paktsystemen und der Schaffung eines modus vivendi mit den Staaten Ostmittel- und Osteuropas nicht hinaus, doch werden schon diese Ergebnisse heute allgemein als wichtige Fortschritte und Erfolge bewertet.