Der Historiker Emanuel Ringelblum verfolgte mit der Gründung des Oneg-Schabbat-Archivs im Warschauer Ghetto das Ziel, die Situation der Juden im Ghetto sowie ihre Deportation und Ermordung durch die Deutschen zu dokumentieren und für spätere Historiker festzuhalten.
Emanuel Ringelblum, der Historiker, Publizist, Politiker und Gründer des Warschauer Ghettoarchivs, wird am 21. November 1900 in Buczacz in Ostgalizien als Sohn einer mittelständischen Kaufmannsfamilie geboren. Er gehört einer Generation von Historikern an, die ihre Ausbildung im unabhängigen Polen erhalten. 1922 nimmt er sein Studium an der Philosophischen Fakultät der Universität in Warschau auf und schließt es 1927 mit der
Dissertation über „Die Juden in Warschau von der frühesten Zeit bis zur letzten Austreibung 1527“ ab. Schon früh tritt Ringelblum in die linke Partei "Poale Zion" ein, daneben gehört er seit 1923 zu den Organisatoren eines Kreises junger Historiker, die sich im „Seminar zur Geschichte der Juden in Polen“ versammeln und dem YIVO (Yidischer Visenschaftlikher Institut) in Wilna als Warschauer Kommission für die Geschichte der Juden in Polen anschliessen. Hier ist Ringelblum als Herausgeber zahlreicher Publikationen tätig, darunter von „Junge Historiker“ und „Bleter far Geschichte“ und veröffentlicht zahlreiche Artikel, zumeist zur Geschichte der Juden in Warschau. Eine wissenschaftliche Karriere bleibt ihm jedoch als Jude versagt, so daß er sich seinen Lebensunterhalt als Gymnasiallehrer und durch das Schreiben von Artikeln für jüdische Zeitschriften und Zeitungen verdienen muß. Während des Krieges engagiert sich Ringelblum in
verschiedenen Bereichen des Ghettos, darunter der Einrichtung für soziale Selbsthilfe der Warschauer Juden und im politischen Untergrund. Bekannt geworden ist er durch den Aufbau des geheimen Oneg-Schabbat-Archivs im Ghetto und durch die von ihm verfaßte Chronik der Ereignisse. Gemeinsam mit anderen Historikern, Untergrundaktivisten
und Schriftstellern hat er es sich zum Ziel gesetzt, Zeugnisse und Berichte von Juden aus dem besetzten Polen zu sammeln, die später durch Dokumente und Beweise zur Deportation und Ermordung der polnischen Juden ergänzt werden. Außerdem schreibt er zahlreiche Artikel, darunter „Stosunki polsko-zydowskie w czasie II wojny swiatowej“ (Die polnisch-jüdischen Beziehungen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges). Diese Arbeiten wurden nach seinem Tod in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Mit dem Beginn der großen Deportationen wird Ringelblum zum Befürworter eines bewaffneten Widerstandes und bemüht sich gemeinsam mit seinen Mitarbeitern, in einem Rapport über die „Liquidierung des jüdischen Warschau“ an die Londoner Exilregierung und die Regierungen der Alliierten über die verzweifelte Situation der polnischen Juden zu berichten. Dieser Bericht dient General Sikorski für eine diplomatische Aktion
zur Verteidigung der jüdischen Bevölkerung in Polen. Im März 1943 nimmt Ringelblum das Angebot an, sich mit Frau und Sohn bei polnischen Freunden zu verstecken. Bei seiner Flucht aus dem Ghetto gerät er mitten in den Aufstand und wird in das Arbeitslager Trawniki deportiert - was in der Zwischenzeit mit ihm geschah, ist nicht
bekannt. Hier wird er von zwei Mitgliedern des Warschauer Untergrunds befreit, die ihn in der Verkleidung eines Eisenbahnarbeiters nach Warschau bringen und zusammen mit seiner Familie und 30 weiteren Juden unterbringen. Das Versteck in einem Vorstadtgarten Warschaus wird jedoch am 7. März 1944 entdeckt und Ringelblum mit den anderen Juden ins Warschauer Pawiak-Gefängnis gebracht. Das Angebot, ohne seine Familie zu flüchten, lehnt Ringelblum ab. Wenige Tage später wird er in den Ruinen des Warschauer Ghettos erschossen. Das von ihm gegründete Ghetto-Archiv wird nach dem Krieg zum Teil wieder entdeckt und veröffentlicht. Es dient heute Historikern als wichtiges Quellenmaterial, um das Leben im Warschauer Ghetto und die Vernichtung der polnischen Juden zu erforschen.