Adam Czerniakow wird 1939 zum Vorsitzenden des Warschauer Judenrates ernannt. Er bemüht sich vergeblich, die Vernichtung der Juden des Warschauer Ghettos aufzuhalten und nimmt sich am 23. Juli 1942 das Leben.
So hat ihn Marcel Reich-Ranicki in seinen Erinnerungen genannt. Doch Adam Czerniakow, der Vorsitzende des Warschauer Judenrates, gehört zu den umstittensten Personen aus der Zeit der Vernichtung des polnischen Judentums. Der 1880 in Warschau geborene Ingenieur vertritt viele Jahre die jüdischen Handwerker in verschiedenen polnischen Organisationen. Er gehört dem Warschauer Stadtrat an und wird auf die Liste der nationalen Minderheiten im
polnischen Senat gewählt. Vor 1939 ist er Mitglied der jüdischen Gemeinde in Warschau. Als zu Beginn des Krieges der Vorsitzende des jüdischen Gemeinderates aus Warschau flieht, ernennt der Bürgermeister und Kommissar für die Ziviliverteidigung Adam Czerniakow zum Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde. Er wird beauftragt, 24 Personen zusammen zu stellen, die ab Oktober 1939 die Mitglieder des ersten Judenrates bilden. Viele von ihnen fliehen jedoch bereits in den ersten Monaten, während Czerniakow in Warschau zurückbleibt. Als Vorsitzender des Judenrates ist er während seiner gesamten Amtszeit starken Angriffen ausgesetzt. Zu seinen schärfsten Kritikern gehört der Historiker und Gründer des geheimen Ghettoarchivs in Warschau, Emanuel Ringelblum. Er wirft ihm eine zu starke Anpassung und einen Hang zur Selbstüberschätzung vor. Wiederholt wird die Absetzung Czerniakows betrieben, doch bleiben diese Versuche erfolglos, weil Czerniakow von den deutschen Behörden
des Generalgouvernements unterstützt wird. Ringelblum und spätere Kritiker verkennen häufig die Umstände, in denen sich Adam Czerniakow in seiner Funktion als Vorsitzender des Judenrates zu bewegen hatte. So weisen nachfolgende Historiker auf die besondere Situation hin, die aufgezwungenen Strukturen mit ihren alltäglichen Beschränkungen und
Diskriminierungen, in der sich Czerniakow und die Mitglieders Judenrates zurechtfinden mussten, zerrieben zwischen den Interessen der deutschen Okkupanten auf der einen und den polnischen Juden auf der anderen Seite. Als besonders aufschlußreich erweist sich in diesem Zusammenhang das Tagebuch Adam Czerniakows, das er regelmäßig vom 6. September 1939 bis zu seinem Tod geführt hat. Es besteht aus insgesamt neun Notizbüchern, von denen acht rund zwanzig Jahre nach seinem Tod wiedergefunden wurden. Czerniakow berichtet darin nicht allein von den offiziellen Amtsgeschäften, sondern auch von den Alltagsschwierigkeiten und den unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Menschen im Warschauer Ghetto zu leiden hatten. So gehört das Tagebuch von Adam Czerniakow zu den wichtigsten Dokumenten über die Zeit der nationalsozialistischen Besetzung Polens und der Vernichtung des polnischen Judentums. Ebenso ersichtlich werden aus diesen Aufzeichnungen
die Bemühungen Czerniakows, mit den deutschen Behörden zusammen zu arbeiten und ihre Handlungen zu beeinflussen. Er muß jedoch erkennen, daß diese Anstrengungen vergeblich sind. Als er im Juli 1942 aufgefordert wird, eine Deportationsquote von 9.000 Menschen zu erfüllen, muß er erkennen, daß er die Lage seines Volkes
nicht verbessern kann und dessen unmittelbare Vernichtung bevorsteht. Er weigert sich, die Deportationsanweisung zu unterschreiben und nimmt sich am 23. Juli 1942 das Leben. Auf seinem Schreibtisch hinterläßt er einen Abschiedsbrief für seine Frau und einen für seine Mitarbeiter. Czerniakow bleibt eine umstrittene Persönlichkeit bei Zeitzeugen wie Historikern. So finden Emanuel Ringelblum und seine Mitstreiter keine guten Worte für seinen Selbstmord, den sie als Zeichen der Schwäche werten. Enge Mitarbeiter loben hingegen seine große persönliche Würde und bestätigen ihm seine guten Absichten, darunter auch der Mitarbeiter im Warschauer Judenrat, Marcel Reich-Ranicki. Was immer Czerniakow vorgeworfen und angelastet wurde – selbst seine Gegner bestreiten nicht, dass er, "mochte er ein wenig naiv sein, letztlich ein ehrlicher, ein aufrechter, ein integrer Mann war." Ein endgültiges Urteil bleibt offen.