Bismarcks Polenpolitik war in der Regel von taktischen Erwägungen motiviert. Dessen ungeachtet stellte sie eine schwere Hypothek für das deutsch-polnische Verhältnis dar.
Otto von Bismarck war kein deutscher Nationalist und hegte auch keinen persönlichen Haß gegen die Polen. Geliebt hat er sie hingegen auch nicht: „Haut doch die Polen, daß sie am Leben verzagen, ich habe alles Mitgefühl der Welt für ihre Lage, aber wir können auch nichts dafür, daß der Wolf von Gott geschaffen ist, wie er ist, und man schießt ihn doch dafür tot, wenn man kann,“ schrieb er 1861 an seine Schwester. Diese fatalistische Sichtweise erlaubte es ihm, die Belange der Polen jederzeit erbarmungslos den taktischen Erfordernissen
seiner Politik unterzuordnen, wobei er tatsächlich auch von echter Sorge vor einer polnischen Gefahr getrieben gewesen sein mag, sowie von einer tiefen Abneigung zumindest gegen polnische Adelige und Geistliche, die er der Aufwiegelung des an sich königstreuen polnischen Landvolks bezichtigte. Doch betrachtet man wichtige Momente seiner Polenpolitik, so zeigt sich, daß sie sich stets
mit anderen Konflikten und Interessen in Verbindung bringen lassen. Die Alvenslebensche Konvention beispielsweise, in deren Folge Preußen seine Grenze für Aufständische aus Russisch-Polen sperrte, bahnte den Weg für die Tolerierung von Bismarcks Einigungspolitik durch Rußland. Die antipolnischen Gesetze wiederum, die Anfang
der siebziger Jahre die polnische Sprache in der Schule und im Gericht zurückdrängten, standen im Zusammenhang mit dem sog. Kulturkampf. Zu Bismarcks erklärten Gegnern gehörten ebenso die Katholiken und andere ihm unzuverlässig erscheinende Gruppen. Doch traf der Kulturkampf die Polen, etwa bei der Strafverfolgung von Klerikern, besonders hart, da Bismarck Nationales und Religiöses verquickte und vom „ultramontanen Polonismus“,
d. h. vom papsthörigen polnischen Nationalismus sprach. 1885/86 erreichte die antipolnische Politik Bismarcks ihren Höhepunkt.
Er übernahm die Vorstellung vom Volkstumskampf um die Ausweisung von Polen ohne preußische Staatsangehörigkeit zu rechtfertigen. Auch das Ansiedelungsgesetz unterstützte er. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, daß Bismarck dabei künftige Mehrheiten im Auge hatte sowie einen mehr gouvernementalen und weniger parlamentarischen Staat. Doch wie Bismarck mit seiner antiparlamentarischen Politik in destruktiver Hinsicht erfolgreich war, so stellte auch seine Polenpolitik unabhängig von ihrer
auch taktischen Natur ein verhängnisvolles Erbe dar. Und daß er auch ohne unmittelbare taktische Interessen antipolnisch wirken konnte, zeigen die Polen betreffenden Äußerungen nach seiner Entlassung. So seine Ansprachen anläßlich der Huldigungsfahrten von
Deutschen aus Posen und Westpreußen im September 1894. Sie förderten die Gründung des von Bismarck begrüßten antipolnischen Ostmarken-Vereins.