Seit der Vereinigung versuchen die Deutschen, ihr Eigengewicht neu zu bestimmen, gegenüber Europa, den Nachbarn, der eigenen Vergangenheit und Zukunft. So in den Debattten über Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ und über das Holocaust-Mahnmal, im Walser/Bubis-Streit und im Disput über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. War die „Hitlerei“ ein Fluch der deutschen Geschichte, dessen Wurzeln weit zurückreichen, oder nur ein Unglücksfall? Ist die Erinnerung an Auchwitz ein absolutes moralisches Gebot oder eine „Moralkeule“, mit der die Deutschen jederzeit geknüppelt werden können? Und dürfen Deutsche „endlich“ Israel rüde kritisieren oder einen einflußreichen jüdischen Kritiker bissig karikieren, ohne gleich des Antisemitismus bezichtigt zu werden?
Vor diesem Hintergrund erscheint die Fokussierung auf die Vertreibungen der Deutschen nach dem Krieg weniger als Trauerarbeit über die vermeintlich vergessenen deutschen Opfer des Krieges denn als Kehrseite der Debatte um den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Während ein symbolischer jüdischer Friedhof unweit von Hitlers Bunker mit dem Gedenken an die Opfer auch die Schande der Täter verewigt, würde ein Zentrum gegen Vertreibungen dort das deutsche Leiden nach dem Krieg in den Vordergrund rücken. Aus diesem Leiden wird bisweilen sogar ein universeller Anspruch abgeleitet. Der Singularität des deutschen Völkermords an den Juden stellt man dann – wie schon im „Historikerstreit“ – die Besonderheit des Schicksals der deutschen Vertriebenen an die Seite. Der europäische Kontext der Vertreibungen kann da als bloße „Verpackung“ erscheinen.