Es begann damit, dass Solidarnosc als unabhängige Gewerkschaft einen geradezu revolutionären Bruch mit der leninistischen Tradition erzwang. Bei Lenin waren die Gewerkschaften reine Transmissionsriemen zwischen der sogenannten Partei der Arbeiterklasse und den Werktätigen, also ein Herrschaftsinstrument. Das gehörte zu den Grundlagen der kommunistsichen Weltbewegung, war ein Teil der 21 Punkte, die Bedingung waren für eine Aufnahme in die Kommunistische Internationale, ein Dokument aus dem Jahre 1920. Und das wurde 1980 durch die Registrierung, also Anerkennung von Solidarnosc durch die polnisches Regierung in Frage gestellt. Eine unabhängige Gewerkschaft in einem kommunistischen Staat - das schien ein Widerspruch in sich selbst. Damit begann eine Phase, die man - vielleicht mit einem kommunistischen Begriff - Doppelherrschaft nennen kann: Der Machtkampf zwischen der unabhängigen Gewerkschaft und der Partei- und Staatsführung. Ein Zustand, der wohl nicht von Dauer sein konnte. Der Konflikt war da und damit eine Krise innerhalb des sozialistischen Lagers. Man darf nicht vergessen: Die Sowjetunion hatte kurz zuvor mit mehreren Divisionen in Afghanistan eingegriffen. Das war bereits in den USA als Ende der Entspannungspolitik bezeichnet worden. Wäre es nun aufgrund der Entwicklung in Polen zu einem Einmarsch des Warschauer Pakts in Polen gekommen, dann wäre das auch nach der Überzeugung europäischer Staatsmänner wie Helmut Schmidt oder Giscard d'Estaing der zweite Schlag gewesen, den die Entspannungspolitik nicht ausgehalten hätte. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb man in der Bundesrepublik die Verhängung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski, den polnischen Partei- und Regierungschef im Dezember 1981, als kleineres Übel empfand - verglichen mit einer offenen militärischen Intervention. Tatsächlich hat die Sowjetunion wohl damals nicht an ein militärisches Eingreifen gedacht. Weil das ihr Verhältnis zum Westen insgesamt außerordentlich gefährden, ja vermutlich zerstören würde. Aber massive wirtschaftliche und politische Sanktionen waren sicher, wenn die polnische Regierung sich den Forderungen, den weitergehenden Forderungen von Solidarnosc fügen würde. Insofern gab es einen massiven Druck. Und es gab Hardliner wie die tschechoslowakische Führung und die DDR-Führung, die für ein militärisches Eingreifen des Warschauer Pakts waren. Insofern war die Situation für die Warschauer Regierung außerordentlich prekär. In der Bundesrepublik hat man Jaruzelski als einen tragischen Patrioten begriffen, und sich mit der Kritik an den Internierungen von Gewerkschaftsführern und Intellektuellen aus dem Umfeld von Solidarnosc außerordentlich zurückgehalten. Ich denke, es wäre besser gewesen, sehr viel deutlicher und massiver aufzutreten. Aber das Dilemma in dem Jaruzelski steckte, das war in der Tat so, dass man auch mit massiven Sanktionen wohl nichts positives bewirkt hätte - Sanktionen, wie sie die USA forderten. Es kam auf eine differenzierte Politik an, die die Rücknahme der repressiven Maßnahmen zum Ziel haben musste, aber gleichzeitig auch das Dilemma der polnischen Führung anerkannte.