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Deutsche & Polen

Die neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition

Heinrich-August Winkler
Biografie

Die ganze Ostpolitik der sozialliberalen Koalition ging davon aus, dass man bis zu einem gewissen Grade den Status quo anerkennen musste, um ihn verändern zu können. Das galt für die Beziehungen zur DDR, das galt auch für die Beziehungen zu Polen - insoweit es um menschliche Fragen ging. Etwa um die Anerkennung von Rechten der dort verbliebenen Deutschen. Alles, was die Staatsräson der Bundesrepublik zuließ in Richtung Osten, ist unter der sozialliberalen Koalition geschehen. Der Höhepunkt war wohl die Schlussakte von Helsinki 1975, das Abschlussdokument der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Da wurden nicht nur Bestimmungen aufgenommen, die die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen vorsahen, sondern eben auch menschliche Erleichterungen angesprochen, die Anerkennung von Menschenrechten, verbesserter Informationsaustausch. Aus diesen Bestandteilen der Schlussakte von Helsinki konnten die Bürgerrechtsbewegungen, nicht zuletzt in Polen, neuen Mut schöpfen. Sie konnten sich auf die Schlussakte berufen, wenn sie Menschen- und Bürgerrechte einforderten. Aber der eigentliche Wendepunkt war dann wohl die Wahl des polnischen Papstes im Jahre 1978. Man kann da fast von einer Papstrevolution sprechen. Als Papst Johannes Paul II. 1979, ein Jahr nach der Papstwahl zum ersten Mal wieder seine polnische Heimat besuchte, da wurde das fast zu einem Plebiszit. Er demonstrierte der kommunistischen Staatsmacht, wo die Mehrheit der Polen stand. Die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc im Jahre 1980 ist ohne den vorangegangenen Papstbesuch gar nicht zu erklären. Heute wissen wir, damals begann das, was wir heute die friedliche Revolution nennen. Die nahm in Polen ihren Anfang.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Heinrich-August Winkler, Historiker, Humboldt-Universität Berlin"
ORB, 2002

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