Zitat

Deutsche & Polen

Die Reaktion der polnischen Machthaber auf den Versöhnungsbrief

Alfons Nossol
Biografie

Eine Hasswelle wollten sie in ganz Polen entfachen, ganz besonders bei der jungen Generation, bei den jungen Intellektuellen und bei den Studenten. Ich kann mich entsinnen: Ich war damals in Lublin an der katholischen Universität tätig und kam mit Vorlesungen in unser Priesterseminar nach Neisse. Gerade in dieser Woche ist es geschehen. Da sind an unserem Ordinariat organisierte Studentenumzüge vorbeigezogen und protestierten gegen die Aussage der polnischen Bischöfe. Sie skandierten, Sprechchöre: Wer hätte die Kirche dazu bewegt, im Namen aller zu vergeben und um Vergebung zu bitten? Es war eine harte Zeit. Aber das musste gemacht werden. Die Geschichte, die weitere Fortentwicklung der Geschichte gab den Bischöfen doch Recht. Man musste dieses Wagnis auf sich nehmen, den Versöhnungsprozess, diese drei wesentlichen Schritte: Der Mut, die Demut, die sich dazu gesellt, und dann die Langmut. Mit diesem mutigen Schritt, Kraft der Gnade des Heiligen Geistes, hat es begonnen. Alle gingen natürlich auf die Mauer, die ideologische und die politische Mauer. Aber dadurch ist auch eine Läuterung des Geschichtsprozesses eingetreten. Man hat irgendwie heller, auch in politischer Hinsicht, in die Zukunft zu schauen gewagt, wagemutiger, verantwortungsvoller. Redete nicht andauernd von Kollektivschuld. Die Kollektivschuld ist kein biblischer Begriff, auch kein tiefst kulturell-menschlicher. Es gibt wohl eine Kollektivverantwortung, aber eine Kollektivschuld? Da sind wir immer drin stecken geblieben, deswegen gab es dann auch keine reelle Verantwortung und keine Solidarität. Der Brief war ein erster Schritt. Die weiteren Entwicklungsumstände der Geschichte haben dazu beigetragen, dass dann der Wahrheitsprozess begonnen hat.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Alfons Nossol, Bischof des Bistums Oppeln"
ORB, 2002

Fenster schließen