Zitat

Deutsche & Polen

Widerstand gegen den Besatzungsterror

Wladyslaw Bartoszewski
Biografie

Wenn man den Bogen überspannt, wenn man dem Menschen bei Terroranwendung - auch bis heute in der Welt - keinen Ausweg lässt, wenn der Mensch sich überall bedroht fühlt, auf der Straße, in der Bahn, in der Wohnung, dann ist er verzweifelt. Der normale Europäer wird erzogen in einer Hierarchie der logischen Werte: Man muss etwas tun oder darf es nicht tun, man muss aufpassen, man muss sich anpassen an die oder die Vorschriften. Aber wenn alle Regeln des Spiels keine Geltung haben, dann ist der Mensch verwirrt. Dann ist der Mensch geneigt zum harten Widerstand. Das wird man sich genehmigen: Ich kann nicht umgebracht werden, ohne etwas zu tun. Das ist eine normale Reaktion bei jedem Menschen bis heute. Wir waren doch nicht anders, als die Generationen vorher. Ich gehöre jetzt zu den ältesten europäischen Generationen. Ich bin die Generation der von Weizsäckers. Ich bin die Generation des Papstes. Ich bin die Generation des im Jahre 2002 verstorbenen Alfred Dreggers. Ich nenne nur Leute, die ich persönlich kenne. Die Leute aus dieser Generation hatten unterschiedliche Motivationen. Die genannten Leute waren sicher keine Nazis, keine Gefahr, keine extremen Leute. Es waren Leute, die europäisch und christlich erzogen waren. Man konnte nicht zulassen, ohne Widerstand, ohne gewaltfreien, intellektuellen, geistigen, kulturellen Widerstand, umgebracht zu werden. Die polnische Regierung in London hat uns beauftragt, im Lande eine Heimatarmee zu organisieren. Im Laufe der Zeit wurden 350 000 Leute vereidigt: Polnische Reserveoffiziere, Reserveunteroffiziere, Reservefähnriche und neu ausgebildete junge Leute. Wir waren Allierte, wir haben zusammen mit den Engländern und später auch mit den Amerikanern den Zweiten Weltkrieg gegen Hitler geführt. Wir haben uns verstanden als Teil des großen Lagers der Alliierten. Nur geheim mussten wir handeln unter der Nazi-Herrschaft und Nazi-Verwaltung. Wir haben geheime Strukturen geschaffen: Geheime Strukturen der Militärausbildung, geheime Strukturen anstatt der geschlossenen höheren Lehranstalten, geheime Strukturen anstatt Gymnasien - also Unterrichtsstrukturen. Auch Strukturen der karitativen Sozialhilfe. Ein separates Kapitel war die Notwendigkeit, den betroffenen Juden zu helfen. Ich wurde 1942 in der Gruppe aktiv, die den geheimen Hilfsrat für Juden in Warschau im Herbst 1942 geschaffen hat. Das waren Leute unterschiedlicher politischer Herkunft, katholisch motivierte, Liberale, Sozialdemokraten, agnostisch denkende, aufklärerisch denkende Humanisten. Das waren ganz unterschiedliche Leute, die sich zusammengerauft haben, um der Willkür und Vernichtung der ganzen Nation, des ganzen jüdischen Volkes entgegenzuwirken. Natürlich waren unsere Versuche ein Tropfen im Meer der Nöte und der bestehenden Probleme. Wir haben zu Beginn des Krieges mit harter Arbeit einige Tausend Kinder gerettet. Einige Tausend haben von uns unterschiedliche Hilfe bekommen: Falsche Dokumente, ein bisschen Geld, Unterkunft. Das war eine separate spezielle Institution, die heute geehrt ist in Jerusalem in der Allee der Gerechten. Auf dem Berg Har Hazikaron beim Institut Yad Vashem befindet sich ein Baum, ein ganz spezieller Baum. Ich war einer, der ihn 1963 für den polnischen Hilfsrat der Juden mitgepflanzt hat. Die Worte, die dort stehen sind hebräisch und englisch. Der Baum wächst. Es gab unterschiedliche Aktivitäten. Es gab auch Aktivitäten in der Zusammmenarbeit mit der Londoner Regierung, Zusammenarbeit z.B. bei der Erforschung der Nazi-Untaten, der Naziverbrechen. Man hat Dokumente gesammelt, man hat sie auf Kurierwegen nach London geschickt. Man hat schon damals das Material für den Nürnberger Prozess nach dem Krieg vorbereitet. Nicht alle haben das getan. Einige unserer Leute wurden streng konspirativ geführt. Ich war einer der Jüngsten, die damals mitgewirkt haben. Meine menschliche, europäische, polnische und katholische Überzeugung verpflichtete mich, Zeugnis abzulegen. Auch meine Nachkriegstätigkeit als Historiker, ursprünglich Journalist, später akademischer Lehrer war bedingt durch dieses alte Verpflichtung. Ich bin am Leben geblieben. Für einen gläubigen Menschen bedeutet das: Warum? Um Zeugnis abzulegen, ich war Zeuge... Ich habe in Büchern, in Artikeln Zeugnis abgelegt über die Zeit der Grausamkeiten, der Willkür gegen Juden, Polen, unschuldige Menschen.

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