Zitat

Deutsche & Polen

Beata Szczygiels Gedicht über ihre Erfahrungen aus über 40 Jahren

Beata Szczygiel
Biografie

Warum ist es nicht normal, als Deutsche in Polen, von einer jüdischen Mutter und einem evangelischen Vater, 1927 geboren zu werden -
Wurden Sie schon einmal mit Steinen beworfen, und mit Deutscher, Deutscher beschimpft -

Hat schon jemand nach Ihnen mit Steinen geworfen und Jude Jude gerufen -

Fiel ein Mann vor Ihren Augen tot auf die Strasse, getroffen von einem Schuss, der aus einem Dachfenster kam - Kriegsanfang 1939 -

Sollte Ihr Vater schon einmal erschossen werden, weil er Deutscher war -

War Ihr Vater schon einmal zum Tode verurteilt, weil er als Pole galt -

Haben Sie Ihren 75jährigen Grossvater von der Gestapo kommend, blutend und zerschlagen, gesehen.
Er sagte: sie wissen nicht was sie tun -

Mussten sich Ihre vier sehr alten Onkel und Tanten ein Grab schaufeln, um von der SS erschossen zu werden?
Onkel Paul war nicht tot und wurde lebendig begraben -

Haben Sie mit Ihrer Mutter und Schwester über ein Jahr in einem Zimmer versteckt gelebt -

War bei Ihnen die Gestapo und hat Ihre Wohnung durchsucht.

Wurde Haus und Garten Ihrer Eltern 1939 beschlagnahmt.

Sind Sie schon einmal ohne Papiere über eine von Deutschen bewachte Grenze gefahren.

Hat die Gestapo auf der Treppe des Bahnhofs Ihren Vater verhaftet.
Sie sahen von weitem zu.

Besuchten Sie als 15 jährige Ihren Vater im Gefängnis.
Die Sprecherlaubnis hatten Sie selbst zu holen.
Der Vater war von 90 kg auf 45 kg abgemagert.
Er sprach tröstende Worte.

Haben Sie Ihren 15jährigen Schulfreund in einem vollkommen leeren Haus besucht.
Er sass auf einer Tasche und wartete auf den Lastwagen, um abgeholt und ermordet zu werden.

Verhungerten ihre Grossmutter und Ihr Grossvater im Warschauer Ghetto -

Standen Sie eines dunklen Abends auf der Strasse mit Ihrer Mutter.
Sie wurde von niemand, auch nicht von Verwandten, für die Nacht aufgenommen.
Sie ging, und Sie haben sie zum letzten Mal gesehen.
Von der Strasse gefangen, in Auschwitz ins Gas gejagt und verbrannt war ihr Ende -

Mussten Sie mit einem P auf der Brust gehen, U-Bahn fahren, deutsche Ämter besuchen -

Mussten Sie mit 14 Jahren als polnische Fremdarbeiterin einen Haushalt mit fünf Zimmern saubermachen, einkaufen und kochen - drei Jahre -

Arbeiteten Sie ein Jahr in einer Gummifabrik -
Befanden Sie sich in einem Haus, auf das eine Bombe fiel. Sie waren im Keller - verschüttet -

Sassen Sie in einem Bunker auf den eine Bombe fiel, und die Menschen gerieten in Panik -

Liefen Sie durch das brennende Berlin.

Die Sonne war verdunkelt und Aschenregen fiel herab -

Erlebten Sie Strassenkämpfe. Panzer und die Stalinorgel liessen die Erde erbeben -

Sind Sie von Ihrem Onkel die Treppe heruntergeworfen worden, als Sie sagten: Deutschland muss den Krieg verlieren -

Hat Ihre Mutter und viele Ihrer Verwandten nie ein Grab bekommen -

Riss ein russischer Soldat an Ihrem Arm und wollte Sie vergewaltigen -

Mieden Sie einige Ihrer arischen Verwandten, als der Krieg vorbei war -

Fanden Sie Ihre einzige schöne Schwester tot in ihrem Bett.
Sie hatte sich mit 20 Jahren, sechs Jahre nach dem Krieg, das Leben genommen -

Sagte eine Amtsärztin nach 36jähriger Arbeitszeit zu Ihnen, Sie hätten eine exessive und endogene Depression.
Drei Wochen Antidepressiva und Sie wären wieder ok -

Wurden Sie, wenn Sie nach Ost-Berlin fuhren, an der Grenze in einen fensterlosen Raum gebracht und durchsucht und befragt -

Wurde Ihr Haus angezündet, und es brannte vollständig nieder.

Keine Frage habe ich an die alte jüdische Weisheit.
Alles hat eine sichtbare Seite und eine unsichtbare -
die geheime Seite.

M. 15. April 1991

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