Ich denke, daß Stanisław Stomma, dieser große politische Realist, sich ganz und gar nicht von seinen Gefühlen hat leiten lassen und die Polen in keiner Weise dazu hat überreden wollen, zu vergessen bzw. innige Freundschaft mit den Deutschen einzugehen. Er hat nach wie vor ein sehr kritisches Verhältnis zu vielem. Was sich in Deutschland und der deutschen Politik tut. Nie hat er mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten. Mehr noch, wiederholt stellte ich in unseren Gesprächen fest, daß man in Stommas Anschauungen auch einen Anflug von Skepsis, ja Mißtrauen finden konnte. Das waren jedoch nie Vorurteile, sondern die Folge kühler Analysen von Ereignissen. Stanisław Stomma ist kein unkritischer Verfechter der deutsch-polnischern Verständigung. Er ist ein herausragender politischer Politiker, der realistisch in die Zukunft blickt, viel realistischer als viele, viele andere. Er sorgt sich mehr um die Zukunft als zahlreiche seiner Nachfolger auf der polnischen politischen Bühne, die immerfort über das Gestern diskutieren und rückwärts vorwärts gehen, was ja nicht besonders bequem ist.
Die Haltung Stommas Deutschland gegenüber bestimmt kein Enthusiasmus, sondern gesunder Menschenverstand. Stomma spricht nicht von Liebe, sondern von Zusammenarbeit, nicht von Vergessen, er spricht nicht vom Auslöschen historischer Erfahrungen, sondern vom freundschaftlichen Zusammenwirken unter Wahrung des kritischen Bewußtseins und des Rechts auf unterschiedliche und manchmal ganz entgegengesetzte Meinungen.
In diesem Sinne ist Stomme in Lehrer der polnischen Politik.
Er ist auch - mittelbar - ein Lehrer der deutschen Politik.