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Deutsche & Polen

Das Schicksal der Vertreibung in Deutschland und Polen

Dieter Bingen
Biografie

Faktisch sind die Westmächte davon wohl ausgegangen seit Anfang der 50er Jahre, dass die polnische Westgrenze nicht mehr reguliert werden würde. Es gab ja auch Ansiedlungen von Millionen von Polen, die damit ja auch, nach dem Verlust ihrer alten Heimat, sich allmählich ein neues Heimatrecht ersessen haben dann auch. Das war sicher Anfang der 50er Jahre sicher nicht so im Bewußtsein. Zumal die Millionen Flüchtlinge, vertriebenen Polen, die nun in ihrem neuen Westen angesiedelt wurden ja auch das Gefühl von Vorläufigkeit hatten und auch nicht wußten, würden sie hier bleiben, würden die Deutschen wiederkommen. Das ist ja gar nicht ihr Haus, nicht ihr Hof. Das ist nicht ihre Wohnung. Das ist nicht ihr Land. Ihr Land ist im Osten gewesen. Von daher fühlten sie sich auch am falschen Ort und konnten auch - viele von denen die aus dem Osten kamen von Polen, konnten das Schicksal der Deutschen verstehen, sogar mitleiden. Sie haben ja teilweise auch über Monate oder sogar Jahre, noch Ende der 40er Jahre miteinander gelebt. Die Deutschen, die schon fast auf ihren Koffern saßen und ihre Wohnungen teilen mussten mit den Polen die aus dem Lemberg kamen. Das heißt die haben Flüchtlingserlebnisse gehabt und wenn sie dann sahen, dass die Deutschen die eine Hälfte der Wohnung verlassen mussten oder ein Zimmer oder nur ganz wenig, wenn überhaupt was mitnehmen konnten, dann verstanden sie was dort passierte. Das also hier, ungeachtet dessen, dass man das alles nicht wirklich vergleichen kann, kollektiv vergleichen kann und die Ursachen nicht vergleichen kann, aber die individuelle Wirkung doch nachvollziehbar gewesen ist bei Deutschen und Polen. Das heißt nicht, daß in Westdeutschland beispielsweise das Vertriebenenschicksal so verstanden worden ist. Man hat integriert. Das mußte getan werden. Es musste gehandelt werden. Es mussten Lebensgrundlagen geschaffen werden und da war nicht so viel Zeit in den 50er Jahren darüber nachzudenken was da passiert ist und was für ein Schicksal dahinter stand. Es musste aufgebaut werden.

Quelle:
Stubenrauch, Jens
"Interview mit Dieter Bingen"
ORB

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